“Gott ist so winzig”, sagt der Schneemann
Die Welt des Dennis Cooper
Es war Ende der 90er-Jahre, als ich Dennis Cooper für mich entdeckte. Damals kamen im Passagen Verlag fünf Bände erstmals in deutscher Übersetzung heraus, welche die seltsam anmutendenen Titel Ran, Sprung, Dreier, Fort und Punkt trugen, dauernd hab ich sie verwechselt. Aber das tat der Begeisterung keinen Abbruch, der George Miles Zyklus war eine Art Erweckungserlebnis, so etwas hatte ich zuvor noch nicht gelesen, Sprache wie Inhalt waren kalt, hart, rücksichtslos, verstörend.
Dennis Cooper seziert in “God Jr.” die existenziellsten
Fragen des Menschseins
Und der Eindruck beim Wiederlesen viele Jahre später blieb derselbe: Das ist ganz außergewöhnliche Literatur. Umso größer die Verwunderung, als ich feststellte, dass außer dem George Miles Zyklus nichts mehr ins Deutsche übersetzt worden war. Dabei war Cooper – neben zahlreichen Lyrikbänden und Sachbüchern – mit 11 Romanen durchaus produktiv gewesen. An der Qualität konnte es nicht liegen; war Coopers Literatur zu radikal, seine Tabubrüche zu rücksichtslos? Damit war auch schon die Idee geboren, Dennis Cooper für °luftschacht zu gewinnen, und mit God Jr. liegt nun – nach einigen administrativen Hindernissen – endlich das erste von vorläufig vier geplanten Büchern vor.
“Ich wollte, dass Tommys Tod ewig währt. Mehr nicht.”
Jim sitzt seit einem Autounfall im Rollstuhl. Er hütet das Geheimnis um den Tod seines Sohnes Tommy, dessen Körper am selben Tag weit entfernt vom Unfallort an einer Bushaltestelle gefunden wurde. Um mit dem Tod des Teenagers fertigzuwerden, steckt Jim seine ganze Energie in die Errichtung eines riesigen Denkmals, das Tommy in seinem Notizbuch in vielen Skizzen festgehalten hat. Die Vorlage dafür scheint aus einem Computerspiel zu stammen, von dem sein Sohn offenbar besessen war. Mia, Tommys Freundin, weiß darüber mehr, als sie bisher preisgegeben hat. Sie zeigt Jim das besagte Spiel. Auf der Suche nach Antworten begibt sich Jim als Bär in diese virtuelle Welt und trifft dabei auf sprechende Pflanzen, Frettchen und Schneemänner und auf Gerüchte über Gott. Zunehmend kippt er in diese Scheinwelt voller Rätsel …
“Die Welt, aus der ich komme, ist gewaltig und unorganisiert und kein Vergnügen, und nichts dort macht irgendwen von uns glücklich.”
Es ist auf den ersten Blick ein vermeintlich eher untypisches Buch für Cooper: keine Gewalt, kein Sex, keine Drogen, keine Brutalität, keine Jugendkultur. Nur ein heterosexueller Vater in einem Rollstuhl, der über den Tod seines Sohnes nicht hinwegkommt; an dem er sich – wiewohl einiges an den Umständen im Dunkel bleibt – schuldig fühlt. Und der sich bekifft in eine alberne Computerspiel-Figur flüchtet, um seine Trauer und seine Verzweiflung über Tommys Tod endlich artikulieren zu können. Die Dialoge mit den anderen Spielfiguren über Liebe, Schuld, Trauer und Tod sind gleichermaßen surreal wie komisch, absurd wie berührend, und zumindest auf diese bizarre Weise tut sich für Jim eine Möglichkeit auf, die Abwesenheit von Tommy iregendwie zu begreifen: Wen kümmert schon groß ein verlorenes Spiel? Und das ist dann doch wieder Dennis Cooper at his best!
‚Der Tod tut nicht weh‘, sagt der Schneemann.
‚Du hörst einfach auf, dich zu bewegen. Wir werden dich einfach vergessen. Es wird so sein, als ob du und Tommy und die anderen Bären nicht einmal hier gewesen wären. Wir alle werden frisch wie Babies zurückkehren. Wir werden es lieben, dich zu treffen. Wir werden zulassen, dass du uns tötest. Wir werden dich töten. Wir werden es nicht besser wissen. Also ehrlich, klingt das nicht nett?‘
Vorläufiger Editionsplan der Werke von Dennis Cooper:
My Loose Thread (Herbst 2018)
Sluts (Herbst 2019)
Ugly Man (Herbst 2020)
> Zum Buch
> Cover- und Buchgestaltung, sowie alle Fotos: Matthias Kronfuss studio> website Dennis Cooper
> blog Dennis Copper
> kiddiepunk.com
> Interview mit Dennis Cooper in der Paris Review
> die New York Times zu “God Jr.”