Joey Comeau mag man, oder mag nicht – ok, spätestens nach Überqualifiziert mag man Joey einfach! Anders als Lockpick Pornography (2016 bei Luftschacht erschienen) präsentiert sich Joey Comeau in Überqualifiziert zugänglicher, weniger schrill, aber keineswegs harmloser. In den vielleicht ehrlichsten Bewerbungsschreiben, die je geschrieben wurden, gibt sich Joey intimer, direkter als je zuvor, humorvoll und traurig, angriffig und verzweifelt. Wer jetzt noch nicht neugierig geworden ist, der hat noch nichts von Joeys peinlichster Sexgeschichte gehört, und auf einer der von Joey konzipierten Easy-Riders-Touren, vorbei an den Häusern seiner Exfreundinnen, war man wohl auch noch nicht.
Ich heiße Joey Comeau. Siehst du? Schon sind wir keine Fremden mehr.
Zu viel gelacht? Joey zeigt in Überqualifiziert auch eine ganz andere Seite. Ein betrunkener Lenker, der eigene Bruder, ein Krankenhaus. Und mit einem Mal lässt es sich nicht mehr so weitermachen wie zuvor. Die Welt ist zu unpersönlich, zu aufgesetzt, zu falsch. Der menschliche Kontakt, reduziert auf Wie geht es Dir? gefolgt von kleinen Umarmungs-Emoticons im Instant Messenger. Joey scheißt künftig darauf, auf Qualifikationen zu achten, er will bloß einen Job, bei dem er die Mittagspause überziehen kann und keine Arbeit mit nach Hause nehmen muss. Kurz gesagt, er will ein Leben.
Leb für den Augenblick, du behinderter kleiner Scheißer. Das Ende ist nah.
Aus Trauer und Verzweiflung wird Wut, und die Bewerbungsschreiben, an denen er Abende lang gesessen hat, gehen ihm jetzt ganz leicht von der Hand. Denn Joey nimmt sich kein Blatt mehr vor den Mund und schreibt einen multinationalen Konzern nach dem anderen an. Krankenhäuser werden zur perfekten Kombination aus Medizin und Fließbandproduktion und schließlich will er gar das Internet töten. Zwischen Gesellschaftskritik und intimen Anekdoten kommt er jedoch zum Schluss:
Alles zerfällt, und das ist verdammt scheiße, und irgendwann liegen wir alle in Holzkisten. Pause für den Effekt. Aber bis auf das Ende ist es fantastisch!
Dein
Joey Comeau
Alle Fotos: Andreas Scheriau