Der Ich-Erzähler, ein siebenjähriger Junge, wächst auf in einer Welt des erwachsenen Wahnsinns: eine Mutter, die Schicht auf Schicht im Krankenhaus schiebt, ein drogenabhängiger Vater, der in seiner Sucht zwischen liebevollem Familienclown und gewalttätigem Choleriker schwankt – und teils kauzige, teils feindselige Nachbarn. Die einzigen verträglichen Menschen scheinen die anderen Kinder zu sein, und ein wahrer Lichtblick ist der vierjährige Bruder Oli.
Unter all den Anforderungen, die die Welt der Erwachsenen an ihn stellt, geraten seine eigenen Gefühle zunehmend in den Hintergrund. Seine Einsamkeit ordnet er den Bedürfnissen der Mutter unter, die neben diversen exzessiven Versuchen, ein neues Glück zu finden, ihre Familie und beinahe auch sich selbst vergisst.
Konsequent erzählt Benjamin Tienti aus der Perspektive eines Jungen, der hellwach eine Welt zu durchdringen sucht, in der er auf sich allein gestellt ist: vom Schweigen, ob man Grenzen selbst überschreitet oder sie für einen überschritten werden, ob die eigenen Gefühle verloren gehen, ob das überhaupt jemand bemerkt und nicht zuletzt darüber, ob man diese Gefühle irgendjemandem schuldet oder einfach nur sich selbst.
“Tienti gelingt mit dieser Perspektive das große Kunststück, den Zerfall jenseits moralischer Urteile und in größtmöglicher Verdichtung zu beschreiben.” (Financial Times)
“Es ist ein kraftvolles Buch, dass mit sanfter Wucht auf die vielschichtigen Probleme von “Trennungskindern” aufmerksam macht, ohne dabei einen moralischen Anspruch zu erheben.” (Das Wortreich)
Benjamin Tienti, geb. 1981 in Esslingen am Neckar; arbeitete als Erzieher in Wohngruppen und Schulen und veröffentlicht unter Pseudonym Kurzgeschichten in Punkfanzines. Er lebt in Berlin und arbeitet neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit an einer Schule in Neukölln. Raubvogel ist sein Debüt als Romanautor.
Titel bei Luftschacht: Raubvogel (Roman, 2009)
The first person narrator, a seven year old boy, is growing up in a world of adult madness: a mother who works shift after shift at the hospital, a drug addicted father, who, due to his addiction, alternates between being a loving family clown and a violent, hot-tempered choleric, and neighbours who are part grumpy, part hostile. The only bearable ones seem to be the other children, and his four year old brother Tobi is a real ray of light.
In the face of all the demands made of him by the adult world, his own feelings increasingly recede into the background. His loneliness is subordinated to the needs of his mother, who, in her various excessive attempts to find happiness again, forgets her family and well-nigh herself.
Benjamin Tienti tells his story unswervingly, from the perspective of a boy who lucidly seeks to penetrate a world in which he relies on himself alone: he tells of silence; whether to cross boundaries yourself or whether they should be crossed for you; whether your own feelings become lost, whether this is even noticed and, not least, whether you owe these feelings to someone else or simply to yourself.